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Steen Steensen Blicher 1782 – 1848

Die Steen Steensen Blicher-Gesellschaft in Dänemark siehe

Das Porträt ist im 1845 von William Gertner ausgeführt.
Mit der Unterschrift von Blicher und seine Geburtsdaten.
Der Himmelberg 12 Novellen von Blicher in deutsche
Übersetzung von Inger und Walter Methlagl

Steen Steensen Blicher – Lebensdaten:

1782 Am 11. Oktober geboren in Vium, südlich der jütländischen Stadt Viborg, als Sohn des Pastors Niels Blicher und der aus einer angesehenen Familie von Großgrundbesitzern stammenden Christiane Marie, geb. Curz. Seine Kindheit war durch eine schwere Gemütskrankheit der Mutter getrübt.

 

1799 Nach dem Besuch der Lateinschule in Randers Beginn des Studiums der Theologie in Kopenhagen. Gleichzeitig widmete Blicher sich auch dem Studium moderner Sprachen, sowie der Geschichte und Literatur Dänemarks und fremder Länder. Intensive Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Hauptstadt, ohne sich letztlich damit identifizieren zu können.

 

1807 1807-1809 Übersetzung der Dichtungen Ossians nach

Macpherson ins Dänische.

 

1809 Abschluß des Studiums mit Auszeichnung und Rückkehr nach Jütland; Lehrer (Adjunkt) an der Lateinschule in Randers.

 

1810 Heirat mit der erst siebzehnjährigen Witwe seines Onkels, Ernestine Juliane, geb. Berg, die auch ein bedeutendes Kapital in die Ehe einbringt. Der Verbindung entstammen zehn Kinder.

 

1811 Als Pächter am Pfarrhof seines Vaters in Randlev landwirtschaftlich tätig.

 

1814 Die Sammlung “Digte” (“Gedichte”) erscheint in zwei Teilen.

 

1818 Übersetzung von Alexander Popes Gedicht “Abeilard and Heloise”.

 

1819 Blicher wird Pfarrer in der kleinen Gemeinde Thorning-Lysgaard. Neben der seelsorglichen Tätigkeit widmet er sich intensiv wissenschaftlichen und praktischen Versuchen in der Landwirtschaft, wie etwa Maßnahmen zu effizienterer Schafhaltung, Wechselwirtschaft, Flachsanbau und Torfgewinnung. Auch setzt er sich für gesellschaftliche Reformen ein, etwa für die Abschaffung der Todesstrafe, die Unterbringung gefallener Mädchen und die Integration von Juden und Zigeunern.

 

1824 In der von A.F. Elmquist in Aarhus herausgegebenen Zeitschrift “Laesefrugter” (“Lesefrüchte”) erscheint die erste große Erzählung “Brudstykker af en Landsbydegns Dagbog” (“Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters”), eine eindringliche Verarbeitung des Marie-Grubbe-Stoffes. Sie markiert Blichers Durchbruch als Prosaschriftsteller.

 

1825 Blicher erhält er die weit bessere Pfarre in Spentrup-Gassum bei Randers zugesprochen.

 

1826 Der Gedichtband “Sneklokken” (“Die Schneeglocke”) erscheint.

 

18271827-1829 Gemeinsam mit Jochum Martin Elmenhoff, Buchdrucker und Literat in Randers, gibt Blicher die belletristische Monatsschrift “Nordlyset” (“Das Nordlicht”) heraus. Darin erscheinen neben Original-Erzählungen anderer Autoren und zahlreichen Übersetzungen in dichter Folge Erzählungen, die Blicher bis zum heutigen Tag zum bedeutendsten Novellenautor jener Epoche machen: z.B. “Røverstuen” (“Die Räuberstube”, 1827), “Sildig Opvaagnen” (“Spätes Erwachen”, 1828), “Hosekraemmeren” (“Der Strumpfkrämer”, 1829), “Praesten i Vejlbye” (“Der Pfarrer von Vejlbye”, 1829), “Kjeltringliv” (“Keltringleben” 1829). Die Themen und Motive zu seinen Erzählungen nimmt Blicher zum Teil aus seinem unmittelbaren Lebensumkreis: der Heide, die er als Jäger oft tagelang durchstreift, der verstreut liegenden Gutshöfe und Schlösser und Hütten der Bauern und Kleingewerbler. Immer wieder erzählt er aus der Vergangenheit des Landes, aber auch aus der Geschichte anderer Länder.

 

1833 In vier Bänden erscheinen von Blicher “Samlede Noveller” (“Gesammelte Novellen”), darunter neben den schon Genannten auch “Himmelbjerget” (“Der Himmelberg”, 1833) und “Ak! Hvor forandret! ” (“Ach! Wie verändert!”, 1833). Ein fünfter Band mit der Erzählung “Marie” und dem Roman “Fjorten Dage i Jylland” (“Vierzehn Tage in Jütland”) folgt 1836.

 

1836 Fünfwöchige Sommerreise nach Schweden (Malmö, Göteborg, Örebro, Stockholm) gemeinsam mit dem Literaturprofessor, Sprach- und Geschichtsforscher Christian Molbech. (Vgl. die Sammlung “Svithjod” mit zwanzig Gedichten zu Stätten, die er besucht hat.). Ein anschließender Versuch, die “nahe verwandten” Nationen Norwegen, Dänemark und Schweden in einem jährlich erscheinenden “Poetischen Unionskalender” geistig und politisch zu vereinen, schlägt fehl.

 

1837 Blicher gibt seine schon 1827 in “Nordlyset” veröffentlichte Übersetzung von Oliver Goldsmiths Roman “The Vikar of Wakefield” in Buchform heraus.

 

1838 Blichers heute bekanntestes Gedichtwerk erscheint: die Sammlung “Traekfuglene. En Naturconcert” (“Die Zugvögel. Ein Naturkonzert”).

 

1839 Von Blicher angeregt, findet das erste von insgesamt fünf volkstümlichen “Himmelberg-Treffen” statt. Dänisches Nationalbewußtsein und nordisches Einheitsgefühl soll durch Reden, Gedichte, Lieder, Spiele, sowie Belebung des Brauchtums gefestigt und gesteigert werden. – Die Erzählung “Skytten paa Aunsbjerg” (“Der Schütze auf Aunsbjerg”) erscheint in dem Band “Kornmodn” (“Das Wetterleuchten”).

 

1839Die Erzählung “De tre Helligaftener” (“Die drei Heiligen Abende”) erscheint im “Dansk Folkekalender for 1841” (“Dänischen Volkskalender für 184l”).

 

1842 Von August bis Dezember hält Blicher sich in Kopenhagen auf. In dieser Zeit erscheinen in einem Band “Nye Noveller” (“Neue Novellen”) Blichers wichtigstes Erzählwerk in jütländischer Mundart (“E Bindstouw”, “Eine Strickstube”) und die ersten seiner insgesamt sechs Bildergeschichten (“Hannibal”, “Erik Hakonson”).

 

1846 Veröffentlichung der “Erindringer af Steen Steensen Blichers Liv, optegnet af ham selv” („Erinnerungen aus Steen Steensen Blichers Leben, aufgezeichnet von ihm selbst.”)

 

1848 Nach Jahren der Enttäuschung ob erfahrener Demütigungen und voll Sorgen um das künftige Wohl seiner Familie stirbt Blicher am 26. März in Spentrup.

 

Steen Steensen Blicher: Kurze Einführung in sein Leben und Werk

Goldenen Zeitalter
Kindheit und Jugend
Adjunkt und Pächter
Pfarrer in Jütland
Blichers Quellen
nsichtbare Durchbruch
Jagt- und Reiseleben
Blicher und die Gesellschaft
Der Himmelberg
Die Novellen
Alltagsleben
Was gab er uns

Goldenen Zeitalter

Ûbersetzung : Inger und Walter Methlagl
Der dänische Dichter Steen Steensen Blicher lebte von 1782 bis 1848. Seine Lebenszeit fällt in eine Periode, die man später das „Goldene Zeitalter Dänemarks“ taufte. Die Erklärung war einfach: „Goldenes Zeitalter“ – das Wort zielte insbesondere auf die umfassende und herausragende Literatur, bildende Kunst und Musik, die am Beginn des 19. Jahrhunderts von dänischen Künstlern unter dem Eindruck der europäischen Romantik geschaffen wurde. Gleichzeitig mit dieser Periode war es, dass Dänemark seine größte politische Umwälzung erlebte: die Aufhebung des Absolutismus und die Einführung des Grundgesetzes von 1849. Blicher wurde zu einem der bekanntesten Erzähler dieser Zeit, seine Popularität beim lesenden Publikum hat seither niemals nachgelassen. Die bekanntesten seiner Novellen werden immer wieder herausgegeben.

Südlich der dänischen Grenze lag das große Deutschland, ganz bestimmt noch zersplittert in einen großen und in eine Reihe kleiner Staaten, gleichzeitig aber ein Land, dessen Kultur als Inspiration über die dänische Grenze in hohem Maß hereinströmte, nach 1830 allerdings auch als eine Bedrohung, nicht zuletzt für die Dänen in den Herzogtümern Schleswig und Holstein.

Dieses große Nachbarland machte frühzeitig mit Blicher Bekanntschaft, wie es das auch mit Holberg, Oehlenschläger, Baggesen und anderen getan hatte. Bereits im Jahre 1826 liegen, in Lübeck herausgegeben, die ersten Übersetzungen vor.

Kindheit und Jugend

Vom oben erwähnten „Goldenen Zeitalter“, dessen Teil es werden sollte, wusste das Kind Steen Blicher gar nichts; aus guten Gründen: Sein Vater, Niels Blicher, war Pfarrer in einer armen jütländischen Landgemeinde, Vium, ein paar Meilen südlich von Viborg. Er gehörte zu den „modernen“ Pfarrern, die, geprägt vom Geist der Aufklärung, für ihre Gemeindeangehörigen, zum Teil nach königlichem Dekret, viel Arbeit leisteten. In dieser Gemeinde wurde Steen am 11. Oktober 1782 geboren. Getauft wurde er nach Steen de Steensen, Gutsherr auf dem nahe gelegenen Ansitz Aunsbjerg, einem nahen Verwandten der Mutter, Kirstine Marie Curtz. Steen, der ein Leben lang zu seinem Vater eine enge Beziehung hatte und dessen Bildungsideale weitgehend übernahm, wurde zeitweise auf diesem Gut untergebracht. Seine Erlebnisse im Herrenhofmilieu beschrieb er selbst auf lebendige Art, unter anderem in den Novellen Skytten på Aunsbjerg (Der Schütze auf Aunsbjerg), Røverstuen (Die Räuberstube) und Enestebarn (Das Einzelkind). Wenn er von daheim weggeschickt wurde, so geschah dies wegen der Krankheit der Mutter; heute würden wir sie wohl ein psychisches Leiden nennen, sofern wir der Beschreibung folgen wollen, die Niels Blicher davon gegeben hat.

Zwei große Begebenheiten fanden in Blichers Kindheitsjahren statt; zu ihnen sollte er oft zurückkehren: die Französische Revolution von 1789 und die Aufhebung der Leibeigenschaft 1788, die den unaufgeklärten dänischen Bauernstand jahrhunderte lang gebunden hatte.

1795 übersiedelte die Familie in die wohlhabende Pfarrei von Randlev, südlich von Aarhus. Im Jahr darauf begann Steen in Randers die Lateinschule. Von seinem Vater war er vielfach darauf vorbereitet, in die Welt hinaus zu ziehen. Er las viel, war aber auch imstande, die Freuden der Jagd und der Natur zu genießen. Vier Jahre danach, 1799, konnte er die “Artium”-Prüfung in Kopenhagen mit einem sehr zufrieden stellenden Resultat ablegen.

Er ließ sich in die Kopenhagner Universität einschreiben; sein cand. theol.-Studium, das normalerweise nach drei Jahren abgeschlossen sein sollte, zog sich bis 1809 hinaus; dann endlich wurde er fertig. Die Gründe für diese Verzögerung lagen teils in einer längeren Krankheitsperiode im Jahre 1801, in der er, um wieder zu Gesundheit zu kommen, als Hauslehrer auf der Insel Falster Aufenthalt suchen musste; teils waren es die ernsten Zustände während der napoleonischen Kriege, als Dänemark sich gegen England im Krieg befand, von 1807 an auch gegen Schweden.

Zu seinen Kriegserlebnissen gehörte 1801 die aus dänischer Sicht berühmte Schlacht bei Rheden gegen die englische Flotte unter Lord Nelson. 1807, während der Bombardierung der Stadt durch die Engländer, nahm er selbst als Freiwilliger im Kopenhagner Studentenkorps an der Verteidigung von Kopenhagen teil.

Während seines Aufenthaltes auf Falster als Hauslehrer von 1801 bis 1803 bekam er Ossians Gedichte des schottischen Dichters Macpherson zum Geschenk. Er war davon begeistert und beschloss, sie ins Dänische zu übertragen. Dies wurde, gleichzeitig mit dem Theologiestudium, eine seiner wichtigsten Beschäftigungen (in deren Verlauf er auch genötigt war, Englisch zu lernen). Der Erste Band kam 1807 heraus, der Zweite 1809.

Die Wirkung Ossians setzte sich bei Blicher das ganze Leben hindurch fort; ein Studium seiner Lyrik und Prosa wird jeden davon überzeugen, wie wenig Abstand in Blichers Empfinden zwischen dem schottischen Hochland und den jütländischen Höhenrücken lag, in denen er selbst geboren war.

Adjunkt und Pächter

Nach dem Abschluß des Examens war kein Priesteramt in Aussicht, vielleicht wollte er auch nicht um eines ansuchen; statt dessen wurde er 1810 Adjunkt, also Hilfslehrer an seiner ehemaligen Schule in Randers – und kurz danach heiratete er die siebzehnjährige Ernestine Berg, Witwe nach seinem wohlhabenden Onkel Peder Daniel Blicher; sie wohnte nach dem Tod ihres Mannes noch immer im Pfarrhof von Spentrup, gleich außerhalb Randers.

Das stille Schulleben als Adjunkt war nichts für Blicher; aufgrund von Versäumnissen war er gezwungen, sein neues Amt niederzulegen und den Abschied zu nehmen. Er kehrte danach mit der Familie zurück zu seinem Vater in Randlev; dort wurde er Pächter auf den zum Pfarrhof gehörigen Ländereien.

Hier in Randlev gediehen seine Gedanken, Dichter zu werden, zur Reife, während er sich gleichzeitig, zusammen mit seinem Vater, gemeinnütziger Arbeit widmete. Unter anderem schrieb er landwirtschaftliche Fach-Artikel, in zwei Schriften verteidigte er die dänischen Juden, die Verfolgungen ausgesetzt waren. Selbst verlor er das große Vermögen, über das er seit seiner Heirat verfügt hatte. Dies geschah nicht allein, weil er ein schlechter Ökonom war; zu einem guten Teil raubte ihm auch der dänische Staatsbankrott von 1813 dieses Vermögen, eine Begebenheit, die in den kommenden Jahren für die ökonomischen Verhältnisse der Familie große Bedeutung erlangte. In dieser Hinsicht teilte er das Schicksal mit allen anderen Dänen.

Aber die poetische Ader konnte und wollte er nicht unterdrücken; 1814 und 1817 gab er Digte (Gedichte) I und II heraus. In vielen dieser ersten Gedichte äußert sich deutlich die Inspiration durch Ossian und dessen schottische Sagenwelt.

Pfarrer in Jütland

Im absolutistischen Dänemark, wo König Frederik VI. uneingeschränkt regierte und an jeder Angelegenheit persönlich teilnahm, war es für Blicher nicht leicht, ein Priesteramt zu bekommen, da er ja seine Adjunktstelle in Randers 1811 zur Unzeit aufgesagt hatte. Mit Hilfe eines guten Freundes glückte es dennoch, dass ihm 1819 eine arme Pfarrei im Land seiner Kindheit, in Thorning/Lysgaard, südlich von Viborg, zugesprochen wurde. Mit großer Begeisterung ging er die neue Arbeit an, doch wuchsen mit der Größe seiner Kinderschar seine pekuniären Sorgen. Innerhalb von 17 Jahren gebar ihm Ernestine zehn Kinder.

Sein erster Verleger war A.F. Elmquist (auch Herausgeber der Aarhus Stiftstidende (Aarhuser Stiftszeitung); gleichzeitig kam er mit Literaturzeitschriften in Kopenhagen in Verbindung, die Gedichte von ihm druckten. In Thorning beschäftigte er sich weiterhin mit praktischen landwirtschaftlichen Vorhaben und erregte damit die Aufmerksamkeit der Ministerien Frederiks VI. Es handelte sich um eine Reihe Abhandlungen über Forstwirtschaft, über die Trockenlegung von Moorgebieten, über Strumpfstrickerei (und den Export, u. a. nach Deutschland), über die “Tataren” (oder “Keltringe”, d.i. Zigeuner), und wie etwa das Problem von deren Herumstreiferei zu lösen wäre.

In der Tat brachten ihn diese Abhandlungen in ein so gutes Verhältnis zum König, dass er 1825 ein besseres Amt in Spentrup bei Randers antreten konnte. Die mitteljütländische Heidegegend verließ er dennoch in Trauer, war und blieb diese für ihn doch auch in der neuen Welt, in die er jetzt, mit 42 Jahren, eintrat, eine große Quelle der Inspiration und Imagination.

Um mehr zu verdienen als nur zum Essen, und um „die Kinder in Holzschuh und Wollwams einkleiden zu können“, wie er an seinen Freund, den Dichter Ingemann schrieb, hatte er auf Elmquists Aufforderung begonnen, in dessen volkstümlicher Zeitschrift Læsefrugter på Litteraturens Mark (Lesefrüchte auf dem Feld der Literatur), die in Aarhus herauskam, zu schreiben. Allmählich nahm er Abschied von der Lyrik, die er in einem Gedicht als „meine erste Geliebte“ bezeichnet. Er war sich darüber klar geworden: nicht Gedichte seien es, die er schreiben sollte, sondern Geschichten oder Novellen (die mehr füllten im Umfang und damit auch in der Geldtasche).

 

Blichers Quellen

Obwohl Blicher bald 42 Jahre alt war, bevor er als Novellenautor debutierte, müssen wir doch verstehen, dass er sich in dieser Hantierung lange geübt hatte. Er hatte sich eine umfassende Kenntnis der europäischen Literatur erworben, darunter die des deutschen Romans und der deutschen Novelle, und er hatte überhaupt alle bedeutenden europäischen Schriftsteller gelesen, insbesondere die englischen: Shakespeare, Sterne, Milton, Fielding, Goldsmith, und deutsche wie Goethe und Schiller, um die bekanntesten zu nennen. Dazu kamen vielgelesene Trivial-Autoren wie etwa Joh. M. Miller mit seinem Roman Siegwart, eine Klostergeschichte, und auch solche, die oft in dänischer Übersetzung in periodischen Zeitschriften herausgegeben wurden.

Zudem hatte Blicher ein großes Interesse an griechischer Philosophie und an den modernen englischen und deutschen Philosophen, ohne dass er freilich für das Wirken der Letztgenannten besonders große Begeisterung äußerte.

 

Der unsichtbare Durchbruch und was darauf folgte

Ein Rückblick auf die Jahre 1824-25 zeigt in Dänemark insgesamt einen Durchbruch für die Prosa auf Kosten der Lyrik; Erzählungen, insbesondere Novellen, sollten fortan die bevorzugte literarische Kunstform bleiben.

In der Märznummer der Læsefrugter 1824 konnte man Blichers erste originale Novelle lesen: Brudstykker af en Landsbydegns Dagbog (Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters), eine Neuheit in der dänischen Literatur, worüber allerdings er selbst und andere sich erst viel später klar werden sollten. Dieses “Wunder in der dänischen Literatur”, wie man es auch genannt hat, wurde ohne den Namen des Verfassers herausgegeben; aber es ist dazu notiert, das Tagebuch (eine Ich-Erzählung) sei “gefunden, gesammelt und herausgegeben von Steen Blicher, Gemeindepfarrer in Thorning”. Unter “diesem Wunder” ist auch zu verstehen, dass das erste Prosawerk Blichers als eines seiner besten angesehen wird.

Læsefrugter – der Name kommt aus dem deutschen: Lesefrüchte – war nicht ein Blatt, das von Blichers literarischen Kollegen gelesen wurde; deshalb kann man von einem unsichtbaren Durchbruch sprechen. Die Kopenhagner Leserschaft ( – sie war es, mit der man damals wie heute rechnete – ) wurde mit Blichers Debutnovelle erst 1833 bekannt gemacht in Verbindung mit der Herausgabe seiner Samlede Noveller (Gesammelten Novellen). Læsefrugter war eine Zeitschrift, die hauptsächlich Übersetzungen brachte, namentlich aus dem Deutschen, und nur zwischenhinein auch einzelne Gedichte und Novellen im dänischen Original.

Von 1827 an gab Blicher, der nun in Spentrup gleich außerhalb Randers lebte, gemeinsam mit dem Redakteur von Randers Avis (Randers-Zeitung), J.M Elmenhoff, und in Konkurrenz zu den Læsefrugter in Aarhus seine eigene Zeitschrift heraus: Nordlyset (Das Nordlicht). In dieser Zeitschrift, die über drei Jahrgänge hin in zwölf Heften erschien, veröffentlichte er eine Reihe jener Meisternovellen, die ihm den Ruf des größten Novellenautors Dänemarks einbrachten. Es handelt sich um Præsten i Vejlbye (Der Pfarrer von Vejlbye), Hosekræmmeren (Der Strumpfkrämer), Røverstuen (Die Räuberstube), Sildig Opvaagnen (Spätes Erwachen) und Kjæltringliv (Keltringleben), um nur ganz wenige zu nennen. Auch seine Übertragung von Oliver Goldsmiths The Vicar of Wakefield (Præsten i Wakefield – Der Pfarrer von Wakefield) wurde hier gedruckt.

In den Jahren 1832 bis 1836 gab Blicher die Jagdzeitschrift Diana heraus. Von 1833 bis 1836 wurden in Kopenhagen seine Samlede Noveller in fünf Bänden und auch seine Samlede Digte (Gesammelten Gedichte) in zwei Bänden herausgegeben. Angespornt von diesen publizistischen Erfolgen schrieb er eine beträchtliche Zahl neuer Novellen. Diese Produktion setzte sich bis fast zu seinem Tod fort (die letzte Novelle von seiner Hand erschien 1847). In den kommenden Jahren wurde er in vielen Zeitschriften besprochen und dadurch als Verfasser bekannt, ohne jedoch in den Kopenhagener literarischen Zirkeln je richtig willkommen geheißen zu werden. Eine boshafte Besprechung, die 1835 vom klassischen Philologen und Literaturkritiker Nicolai Madvig veröffentlicht wurde, soll Blicher viele Jahre lang geschadet haben. Madvig war über einige Episoden in den Novellen, z. B. in Spätes Erwachen, aufgebracht, da sie seiner Meinung nach den klassisch gebildeten Leser sicher zuwider sein mussten.

 

Jagt- und Reiseleben

1836 machte Blicher seine einzige Auslandsreise – nach Schweden. Nachdem er, 1837, während eines krankheitsbedingten Stillstands zur lyrischen Poesie zurückgekehrt war, konnte er 1838 seine bekannteste Gedichtsammlung aussenden: Trækfuglene (Die Zugvögel). Nach der Heilung brach er zu einer Reise auf, die ihn von Altona (Hamburg) im Süden nach Skagen im Norden führte, also vom südlichsten Punkt des Königreichs zu seinem nördlichsten. Diese Reise beschrieb er in dem Buch Vestlig Profil af den cimbriske Halvø (Westliches Profil der cimbrischen Halbinsel), das 1839 herauskam. Von 1838 an schrieb er in der neuen Zeitung Jyllandsposten (Die jütländische Post) eine Anzahl von Artikeln über gesellschaftliche Verhältnisse und arrangierte damit – zuerst allein, später zusammen mit anderen – die ersten dänischen Volksfeste, die von 1839 bis 1844 auf dem Himmelberg stattfanden. In dieser Periode nach 1838 gelingt es ihm, noch 40 Novellen herauszugeben, kulminierend in E Bindstouw (Eine Strickstube, 1842) – geschrieben in jütländischem Dialekt. Nach einer Reihe von Enttäuschungen (verabschiedet als Pfarrer 1847) und einer längeren Zeit der Krankheit starb er im Alter von 66 Jahren im Pfarrhof von Spentrup, eben in den Tagen, als der erste Schleswigsche Krieg ausbrach. Der Krieg, von dem er so sehr gewarnt hatte.

 

Blicher und die Gesellschaft

Solange König Frederik VI. lebte, war Blicher sein großer Bewunderer; 1828, als Dänemark wieder im Begriffe war, sich zu erholen, schrieb er in der kleinen Schrift Danmarks nuværende Tilstand (Dänemarks derzeitiger Zustand) engagiert über die politische Situation nach den napoleonischen Kriegen. Diese Königsanbetung schuf ihm Feinde in den neuen liberalen Kreisen, die unter dem Eindruck der Entwicklung in Frankreich nach 1830 im Wachsen begriffen waren. Um der Unzufriedenheit dieser Kreise zu begegnen, schuf der König eine neue Institution, die vier ratgebenden Ständeversammlungen, eine für Seeland und die Inseln in Roskilde, eine für Nordjütland in Viborg, eine für Südjütland in Schleswig und eine für Holstein in Itzehoe. Dass Blicher in diese ratgebende Gesellschaft nicht berufen wurde, enttäuschte ihn tief. Nach seiner Reise nach Schweden 1836 näherte er sich langsam den Liberalen an, bewahrte jedoch noch immer den Glauben an eine Verwaltung, bei der Volk und König zusammenarbeiten sollten.

Der Himmelberg

Nach dem Tod Frederiks VI. 1839 änderte Blicher seine Haltung mehr und mehr in liberaler Richtung. Bei den jährlichen Volksfesten auf dem Himmelberg, die Blichers Erfindung waren, suchte er unter den schwierigen Bedingungen des Absolutismus vorsichtig eine Diskussion zu eröffnen: unter anderem über Ständeversammlungen, über allgemeine Wehrpflicht, über Sprach- und andere Probleme in den Herzogtümern; eine offenere Diskussion über die dänischen Regierungsformen ließ sich nur schwer durchführen.

 

Die_Novellen

Für eine größere Analyse von Blichers Novellen ist hier nicht der Ort.; nur einige Hauptlinien sollen hervorgehoben werden.

Bis zu einem gewissen Grad setzte seine Prosa bei seiner Lyrik an, bei den Gedichten und Liedern, von denen viele in Dänemark noch immer im Umlauf sind (siehe die dänischen Gesangsbücher). Nicht zuletzt wird seine bekannteste Gedichtsammlung Trækfuglene – En Naturkoncert (Die Zugvögel – ein Naturkonzert) immer wieder gedruckt, oft mit Holzschnitten und Zeichnungen der bekanntesten Illustratoren Dänemarks.

Vielleicht schon geübt durch Übersetzungsarbeit, setzte Blicher den in den Læsefrugter- Novellen vorgefundenen Stil und deren gemischtem Inhalt von Räuber- und Liebesgeschichten fort. Aber er verbesserte das Genre auf eine neue Art: er konnte sich ja mit der Vorlage herumschlagen, wie er wollte, er konnte experimentieren und sie eben damit zu seinem eigenen Niveau erheben. Auch hier stand er unter dem Einfluss der englischen Literatur, ein Interesse, das eben auf die Ossian-Übersetzung folgte. Er war ein großer Bewunderer von Shakespeare, später wurde er ein großer Bewunderer von Walter Scott, dessen Stil er jedoch in keiner Weise kopierte. Dazu kam eine beträchtliche (vielleicht etwas oberflächliche) Kenntnis der europäischen Hauptsprachen und ein großes historisches und philosophisches Wissen. Insgesamt ein Wissen, das sich in seinen Novellen, aber auch in der ständig anwachsenden Menge anderweitiger Prosa ausmünzen sollte.

Die Handlungen seiner Novellen ließ Blicher über einen weiten Umkreis ausgreifen: ausgehend von einem Zentrum in seinem geliebten Mitteljütland, den großen, öden Erstreckungen von Heide, Moor und Wiese, hin zu Novellen mit Ausgangspunkt im Leben einer kleineren Provinzstadt und bis hin zur Lebensweise in den Hauptstädten; doch breiten sich die Handlungen auch ins Nachbarland Deutschland aus. Selbst südliche Himmelsstriche, etwa Italien und Frankreich, tauchen in seinen Novellen häufig auf. Hier nahm er mehrfach die Französische Revolution zum Ausgangspunkt und führte die Handlung von Süd nach Nord und umgekehrt.

Ansonsten sind jedoch die Novellen stark unter dem Einfluss dessen geschrieben, was „das Schicksal“ oder das Unvorhergesehene für den Menschen bedeutet. Dabei schuf Blicher etliche Novellen, die eine ziemlich phantasievolle Handlung in schlichter Analyse entschleiern, wobei aber der Dichter einen Handlungsablauf, der sich vielleicht über Jahre, vielleicht auch über kurze Zeit erstreckt, mit seiner meisterlichen Feder oftmals in einer genial verdichteten Form zu beschreiben vermag. In jedem Fall wird die Handlung wahrscheinlich gemacht. Vor allem anderen legt Blicher Wert darauf, dass eine Handlung, damit man sie akzeptieren kann, wahr ist. Oft wählt er die Form eines Tagebuchs mit einem Ich-Erzähler und, als etwas ganz Natürliches, mit Ausgangspunkt in der Zeit, in der er lebt; immer ist eine Liebesgeschichte eingebaut.

Blichers Stil umfasst also eine Reihe Grundmotive, die er mischt. Das Schicksalsmotiv ist oft wichtig in Kombination mit der Fremdheit der Personen in der umgebenden Gesellschaft. Dazu kommt das Dreiecks-Drama mit erotischen Untertönen, woraus Eifersucht entsteht und das durch sie verursachte Unglück. Wesentlich als Motiv ist das Aufbegehren der Frau zusammen mit dem zurückgewandten Motiv des „Ach wie verändert“, das ja einer Novelle den Namen gibt.

 

Alltagsleben

Im dänischen Bereich ist unglaublich viel über Blichers tägliches Leben mit zehn Kindern und Frau Ernestine geschrieben worden, ohne dass wir eigentlich sehr viel davon wissen. Über die pekuniären Sorgen hat er selbst in seinen Briefen an Freunde und Bekannte weit und breit berichtet. Das tägliche Leben war für den Dichter nicht immer erfüllend, er war kein guter Ökonom, vielleicht auch zu freigiebig, wenn er Geld hatte. Solche Briefe waren vielleicht der Grund dafür, dass sich Bekanntschaften lösten, weil Blichers briefliche Kontaktnahmen besonders in seinen älteren Tagen, oftmals mit Anfragen wegen Geldhilfe endeten. Einiges deutet jedoch darauf hin, dass er sich auf diese Art einfach die Sorgen “von der Seele schrieb”. Jedenfalls bekam seine Phantasie in der Novellenproduktion freien Lauf, und vielleicht waren die Musik, die Natur, die Jagd und die Ausflüge, die er allein oder mit dem einen oder andern guten Bekannten machte, für den Dichter der Ausweg aus diesem bedrängten Zustand.

 

Was gab er uns, und was gibt er uns?

Über ihn, der spät zu schreiben begann, wird gesagt, er habe sich rechtzeitig einen guten Teil an Lebensphilosophie erworben, die ihn instand setzte, eigene Probleme und die anderer zu verstehen und zu schildern. Eine ewige Wanderung zwischen Leben und Tod, Gegenwart und Vorzeit oder dem Jetzt und der Ewigkeit. Man kann sagen, dass sich in ihm zwei Grundtöne ausformen, ein heller und ein dunkler, verbunden mit einem hoffenden und einem erinnernden, einem ruhig betrachtenden und einem wehmütig verstehenden. Von diesen ausgehend spielt er die ganze Tonleiter durch. Schnell schuf er sich ein Alter Ego im „Vetter Peer Spillemand“, der oftmals für die mehr unterhaltenden Geschichten gerade stehen musste. Mit etwas gutem Willen kann er tatsächlich als Blichers anderes Ich angesehen werden. Aber als welches Ich? Auf jeden Fall wurde er für den Pfarrer von Spentrup zu einem Ventil. Die Zusammenarbeit oder das Zusammenleben zwischen den beiden Vettern, das sich da vor uns entrollt, kennt man sonst in der dänischen Literatur nur wenig. (Siehe z.B. Poul Martin Møller: En dansk Students Eventyr (Abenteuer eines dänischen Studenten).

Die Nachwelt hat Blicher gründlich analysiert, doch gilt wohl weiterhin, dass Blicher nie besser ist, als wenn wir ihn zum ersten Mal erleben.

Er vermochte Jütland mit seinen dunkeln und hellen Landschaften darzustellen und mit seinen Bewohnern; er beschrieb die Jagd und ihre Freuden; er hat die Liebe in allen ihren Aspekten geschildert; seine Charakterzeichnungen von Personen, nicht zuletzt von Frauen, sind zuweilen von erstaunlicher psychologischer Präzision und auch in europäischem Zusammenhang gesehen einzigartig.

Quellen: Jeppe Aakjær, Johannes Nørvig, Søren Baggesen, Henrik Ljungberg u.a.m.